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  • AutorenbildChristine Waitz

Race Around Ireland: Zwischen Tief und Himmelhoch

Können Sie sich vorstellen, wie lange 2.200 Kilometer sind? Ein Mal rund um Irland. Oder auch, zum Vergleich, von Hamburg nach Gibraltar (Luftlinie). So eine Strecke mit dem Rad in Angriff zu nehmen, scheint ersteinmal, zugegebenermaßen, ganz schön bescheuert. Nicht verwunderlich also, dass mir im Vorfeld vor allem eine Frage gestellt wurde: "Warum?," platzte es mir in meist entsetztem Unterton entgegen.

Dabei ist die Antwort darauf so einfach: Abenteuer, Freiheit, Neues, Aufregendes, Grenzen kennen lernen. Dinge, für die man im Alltag keine Zeit, und meist auch gar keine Möglichkeit hat. Das alles versprach das Race Around Ireland – und dieses Versprechen sollte es am Ende auch halten.


Einzelrennen als Teamwork 


Dabei begab ich mich zwar als Solo-Fahrerin auf die Strecke. Doch alleine war ich nicht. Mit Frank Kräker und Georg Haas hatte ich zwei Vereinskameraden der TSG 08 Roth dabei. Trainingspartner, die mich seit vielen Jahren kennen. Mit Sven Hindl und Hung Lien zwei Arbeitskollegen der Wechselszene, die ebenso mit dem kleinen Sturkopf zurecht kamen.

War im Vorfeld schon klar, dass es ohne ein gutes Team kaum Erfolgschancen geben würde, wurde genau das während des Rennens besonders deutlich. Das Team ist permanentem physischem, psychischem und vor allem emotionalem Stress ausgesetzt. Meine vier Betreuer lieferten all diese Zeit Meisterleistungen ab. Egal welches Problem auftrat, egal wie schwierig es wurde. Sie bewahrten die nötige Ruhe und brachten mich am Ende ins Ziel. Danke Jungs, ohne euch wäre es unmöglich gewesen!


Doch zurück zum Start:


Trim, Sonntag, 15:18 Uhr


Die Burgruine, vor der der berühmte Film Braveheart gedreht wurde, bot ein imposantes Panorama für das Startprozedere. Entlang den Burgmauern reihten sich die Support-Wagen in der festgelegten Startreihenfolge auf. Mit der Startnummer 114 durfte ich um 15:18 Uhr von der kleinen Rampe fahren, die von doch einigen Zuschauern umgeben war.

2.200 Kilometer… in diesem Moment noch eine Zahl, die sich schlicht und einfach gar nicht fassen lässt. So fährt man einfach drauf los. Wartet, was die nächste Abzweigung bringt, die nächste Stunde, der nächste Streckenabschnitt.

Die erste Nacht brachte lediglich ein kurzes Power-Nap. Alles lief gut, das Tempo stimmte, die Beine fühlten sich gut an. 


Dienstag


Nach 765 Kilometern dann die erste größere Pause von drei Stunden. Die brauchte es auch. Extrem schlechte Straßenverhältnisse, Gegenwind und die unaufhörlichen Anstiege hatten erste Muskelschmerzen verursacht. Dennoch: Alles bewegte sich im grünen Bereich, die Stimmung im Team war nach wie vor perfekt. Um drei Uhr Morgens ging es wieder auf das Rad.

Wie man das schafft? Wie alles in diesem Rennen: Man muss den Kopf ausschalten und „einfach“ tun.

Im Laufe des Tages zeichneten sich erste große Probleme ab. Beim Durchfahren eines Schlaglochs bemerkte ich, dass mein Kopf einfach nach unten sackte und ich ihn nicht mehr halten konnte. Von der ersten Sekunde an war mir klar, dass es jetzt schwer werden würde. Denn von diesem Ultra-Cycling-typischem Problem hatte ich schon gehört. Ich wusste auch, dass es nicht zu beheben, nur zu managen sein würde.

Ich ließ das Team hinter mir an den Straßenrand fahren, erklärte, was los war, und ließ mit Kabelbindern eine Verbindung zwischen Helm und Sport-BH herstellen, um die Nackenmuskulatur zu entlasten. Während der Weiterfahrt arbeitete das Team mit Hochdruck daran, einen Physiotherapeuten zu organisieren. Dank der Hilfe von Bernhard Steinberger, dem Sieger des Vorjahres, wurde der Kontakt zu Ricky Geoghegan hergestellt. Was zu diesem Zeitpunkt keiner wusste: Er war selbst Ultra-Radfahrer und betreut zahlreiche Sportler der Szene. Er hatte sich in das Auto gesetzt, fuhr 400 Kilometer quer über die Insel, um mich an einer Time Station zu behandeln, Symptome zu lindern. Ohne Rickys Hilfe wäre hier möglicherweise bereits Schluss gewesen – vielen, vielen Dank!



Mittwoch


Ab jetzt galt es vor allem mit den Schmerzen im Nacken umzugehen. Die schöne, beeindruckende Landschaft Irlands ging größtenteils an mir vorbei. Die Zug-Konstruktion, die meinen Kopf oben hielt, verursachte Druckstellen am Kopf. Immer wieder mussten Anpassungen vorgenommen werden. Doch wie einer der vielen Fans schrieb: Nach jedem Tief kommt auch eine bessere Phase. Man muss nur die Geduld haben, sie abzuwarten.

Überhaupt leistete meine Mannschaft zusammen mit der Fangemeinde im Netz unglaubliches. Ich wurde mit Musik, Rätseln, Informationen zu Umgebung, selbstgesungenen Liedern und Motivations-Kommentaren über Funk bei Laune gehalten. Ablenkung, die alles etwas leichter machte, und ohne die es nicht gereicht hätte. Einige der Kommentare werde ich sicherlich nie vergessen...


Donnerstag


Der Rad-Tag nach kurzer Pause begann gut. Was die Crew zu diesem Zeitpunkt nicht wusste - es sollte der härteste Tag des Rennens werden. Für alle Beteiligten.

Starkregen und Wind begleiteten die Fahrer durch den Tag. Nach dem Abklingen warteten dann bis zu weit über 20% steile Anstiege darauf, bezwungen zu werden. Insgesamt eine kraftraubende Angelegenheit, die am Ende fast zum Ausstieg geführt hätte.

Denn spät in der Nacht gab es noch einen rund 70 Kilometer langen Abschnitt mit extrem schlechtem Straßenbelag und zahlreichen Hügeln zu überwinden. Plötzlich war das Tempo dahin, es rollte einfach nicht mehr, die nächste Pause schien unendlich weit entfernt. Ich quälte mich über das Straßen-Mosaik, heulte vor mich hin. Die Crew musste hilflos zusehen. Ein physischer und psychischer Kraftakt für Fahrer und Crew.

Im Morgengrauen schließlich, hatte man sich dennoch durchgekämpft und die kurze Pause lädt die Akkus zumindest wieder so weit auf, dass man weiter fahren konnte.


Freitag


Mittlerweile war die Kopf-Halte-Konstruktion so ausgeklügelt, dass es wieder besser und schmerzfreier zu fahren ging. Aufgrund der starken Wassereinlagerungen bekam ich die Augen nur noch schwer auf. So hatte ich irgendwann schlicht und einfach die Augenlieder mit etwas Tape unterstützt und nach oben geklebt. Sah lustig aus, tat aber seinen Zweck und mir ging es besser. Die Crew feuerte nach wie vor ein Motivanions-Feuerwerk ab. Immerhin war das Ende in Sicht.

Die unerwartete Nachricht der Rennleitung, den Tom Crean Award gewonnen zu haben, brachte zusätzlich Motivation. Auf einem der anspruchsvollen und bergigsten Stücke der Strecke wurde diese Auszeichnung für den schnellsten Fahrer vergeben. Für uns alle war die Auszeichnung eine Überraschung und gab Rückenwind für die letzten Kilometer.

Die letzte Nacht brach an. Einige harte Anstiege waren noch zu überwinden. Doch an Aufgeben dachte nun keiner mehr. Nur noch 300 Kilometer... Kinderkram... merkwürdig, wie sehr sich die Wahrnehmung in solchen Extremsituationen verschiebt...


Samstag

Mit dem aufziehenden Tag schmolzen die restlichen Kilometer dahin. Die letzten 50 wurden nochmals richtig hart. Man wusste das Ziel in direkter Nähe, sah sich jedoch noch Stunden drumherumzirkeln. Eine Zerreißprobe für die mittlerweile ziemlich entnervte Fahrerin (liebes Team, alle pampigen Kommentare über Funk waren natürlich nicht so gemeint ;) ).Bei leichtem Regen war es dann jedoch endlich so weit – um 7:31 Uhr wurde die Ziellinie in Moyalty überquert. In diesem Moment verspürten alle einfach nur eine große Erleichterung, es geschafft zu haben. Die Euphorie und Begeisterung sollte erst später zurück kommen, wenn sich alle etwas erholt hatten.

"Ist es nicht komisch, durch ein einsames Ziel zu fahren?," wurde ich im Nachhinein oft gefragt? - Nein. Denn die Ziellinie an sich war in diesem Moment das einzige, worauf man sich konzentrierte. Ob dort nun zwei, 20 oder 200 Zuschauer stehen – in diesem Zustand absolut nebensächlich... Der Empfang durch die Organisatoren war dann herzlich und enthusiastisch – so eben, wie sie das gesamte Rennen organisieren. Mit viel Liebe, Begeisterung, Wertschätzung. Vielen Dank an das Team des Race Around Ireland!Ein kurzes Frühstück später begann die Crew Sachen zusammenzupacken und ich durfte mich ersteinmal kurz hinlegen, um auszuruhen. Klingt ganz einfach, ist es nicht. Der Körper lief offensichtlich noch auf Hochtouren. Am Nachmittag dann eine weitere Überraschung. Ricky hatte angeboten, mich nochmals zu behandeln und nahm sich gleich mehrere Stunden Zeit. - Danke!

Sonntag

Der Rückflug nach Hause war für 7:00 festgesetzt - auf, in  eine weitere schlaflose Nacht…Am späten Nachmittag, im Zug von Frankfurt nach Roth, erreichte mich eine Nachricht vom Hauptsponsor Canada Life. Die  versammelte Vorstandschaft würde mich am nächsten Tag gerne zum Mittagessen begrüßen - in Dublin. Meine Eltern zu Hause umarmt, einen Eisbecher genossen, und einen Flug gebucht später, war ich wieder auf dem Weg zum Flughafen. Noch in der selben Nacht checkte ich in Dublin in einem Hotel ein, um am nächsten Tag persönlich von meinen Erlebnissen berichten zu können. Am Abend ging es dann endgültig nach Hause - endlich Schlaf!

Danke!

Noch nie war es mir so wichtig, Danke zu sagen. Ohne die Team-Leistung hätte ich das Rennen nicht ins Ziel bringen können!- Danke! 

Frank, Hung, Sven, Georg. Ihr wart der Hammer!- Danke! 

Ricky für die schnelle, unkomplizierte und tolle Hilfe!- 

Danke! Canada Life für die Unterstützung und den Enthusiasmus, mit dem ihr uns verfolgt!- 

Danke! An das Team der Raiffeisenbank Sulzbach-Rosenberg für die Unterstützung!-

Danke! Emmet, Loraine, Alan für ein fantastisches Rennen!-

Danke! Holger Röthig, Auto Zitzmann, Specialized, Wechselszene, Garmin, Thule, Radsport Buchstaller für die Unterstützung!und nicht zuletzt:

DANKE an alle, die so unglaublich toll mitgefiebert haben, mir Motivation schenkten, mir Glückwünsche zukommen ließen. Das Finish ist auch Euere Leistung!

Mehr zum anstehenden RAAM Projekt gibt es auf unserer Team-Seite http://quattra-bavariae.de

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