Ich sitze am Flughafen und wundere mich, wie schnell die Zeit vergehen kann. Hinter mir liegt das in Stunden gemessen längste Rennen, das ich je gemacht habe und doch vergingen die 8 Tage, 5 Stunden und 5 Minuten wie im Flug.
Welch Glück!
Wie schade!
Ich bin hin und hergerissen.
Denn einerseits war es alles andere als selbstverständlich, dass das Rennen so schnell, so reibungslos laufen würde. Zumindest meine Vorbereitung war aus mehreren Gründen nicht ideal gelaufen.
Andererseits birgt der Rennzustand so besondere Momente, dass man sie schier unendlich auskosten will: Die Situationen, in denen sich das Team zusammenrauft und Schwierigkeiten überwindet. Die sternenklaren dunkelblauen Wüstennächte, die zartrosa Morgendämmerungen, die bunten Regenbogen vor der Regenfront, die wunderschönen Landschaften in verschiedensten Farbtönen und Schattierungen. Die Begegnungen mit neuen, beeindruckenden, inspirierenden Menschen. Die Momente, in denen man in angestrengter Ruhe einfach nur vor sich hin radelt und an nichts weiter denkt, nichts weiter tun oder planen muss – einfach nur zufriedene Leere im Kopf.
Ich weiß, dass diese Zerrissenheit nicht verschwinden wird. Wahrscheinlich ist das der Grund, warum ich immer wieder in Rennen hineinstolpere, mich der Faszination nicht entziehen kann. Deshalb versuche ich mich auf das tolle Gefühl zu konzentrieren mit einer wieder einmal besonderen Mannschaft einen großen Erfolg feiern zu können.
Stefan, dessen Projekt das „DVAG goes RAAM“ war, konnte sich einen Traum erfüllen und sein Ziel verwirklichen. Auch als sein Coach bin ich sehr stolz auf diese Leistung. Er hat bewiesen, dass die Herausforderung RAAM mit kontinuierlicher Vorbereitung auch für jemanden möglich ist, der noch nicht lange Rad fährt. Dass einem das Finish im Vorfeld nicht jeder zutrauen muss und man dennoch Ruhe bewahrt. Dass man sich auch durch die schmerzhaftesten Momente durchkämpfen kann. Dass man zugleich 50.000 Euro Spenden für ein Schulprojekt der Hubert und Renate Schwarz Stiftung in Tansania sammeln kann.
Und dann ist da wieder das Team aus tollen Menschen, die Stefan und mich perfekt umsorgt haben. Das klingt so leicht und ist wohl doch die allergrößte Leistung im Rennen.
Denn genau hier verstecken sich die meisten und tückischsten Stolpersteine des Rennens: Funktioniert das Team nicht, wird’s schwierig.
Und das passiert sehr schnell. Unter dem Druck der Verantwortung für die Racer, unter Terminstress, bei räumlicher Enge, mit Schlafentzug und eingeschränkten Möglichkeiten für alles Persönliche ist das Eskalationspotenzial groß.
Auch wenn die Mannschaft rund um Crewchief Thomas - Fernand und Moni, Richard und Louisa, Klaus und Lavinia, Holger und Joe, sowie die Wohnmobil-Teams mit Champ, Franz, Helmut und Christine - über die ein oder andere Sache stolperten, sie schafften es immer sich zu fangen.
Mehr noch: Sie gaben uns Racern auch auf den schweren Stücken Motivation, brachten uns das ein oder andere Mal zum Lachen, servierten ein um die andere Schicht die Extrawünsche in Sachen Speis und Trank.
Die Zieldurchfahrt, die dann sogar einen Tag schneller war, als ich es mir hätte vorstellen mögen, verblasst für mich wieder einmal zur schönen Nebensache. Ich bin auch dieses Mal wieder vor allem dankbar tolle Menschen kennen zu dürfen, das Privileg zu haben, solche außergewöhnlichen Abenteuer erleben zu dürfen, meine Sammlung an außergewöhnlichen Momenten erweitern zu können.
Danke an Stefan für das Projekt und dafür, dass ich deine Fahrpartnerin sein durfte. Danke an Fernand für das perfekte Rad. Danke an Thomas für die starke Teamleitung und das Hubert Schwarz-Team im Hintergrund. Danke an die gesamte Crew. Danke an alle Spenderinnen und Spender, die unsere Charity-Aktion unterstützt haben. Und danke an meine Verfolger-Gruppe zu Hause für die Motivation!
Schlaglicht 1:
Wir stehen mit unseren Unmengen an Gepäck an der Bushaltestelle der Car-Rental-Station. Neben mir macht es irgendwo laut „Plopp“. „Das war ein Radreifen“ , denke ich. Relativ entspannt – ich war mir sicher keiner von meinen. Beim Auspacken der Räder dann die Überraschung: Während der Reise war zwar der Luftdruck reduziert, doch scheint irgend etwas gegen ein Ventil eines Schlauchreifens gedrückt zu haben und es beschädigt zu haben. Was normal ein Leichtes ist, ist in meinem Fall ein aufreibendes und kostenintensives Projekt: Finde einen 26 Zoll Schlauchreifen. Dank Teamchef Thomas und emsiger Radhändler in der Region konnten wir den Reifen noch wechseln.
Schlaglicht 2:
Die letzten Meter bergauf in den Rocky Mountains – ein tolles Gefühl! Zwar wissen wir, dass der Großteil der Höhenmeter im Rennen im letzten Drittel auf uns wartet, doch ist das Überqueren des höchsten Punkts ein Meilenstein im Rennen. Es ist früh morgens, klar, die Sonne beginnt sich hinter den Bäumen hervorzuarbeiten. Die Crew freut sich auf einen Wechsel und Ablösung nach einer harten Nachtschicht und schickt mich in die Abfahrt. Nicht bewusst war uns allen wohl, wie lang diese Abfahrt ist. Bei fünf Grad Außentemperatur zittere ich mich trotz Trikot, Windweste, zweier langer Jacken und Handschuhe (wer mich kennt, weiß, was das heißt) bald nur noch um die Kurven, die ich sonst mit Begeisterung hinunterstürze. Unten, am Wechsel angekommen, waren ich und meine Stimmung deutlich unterkühlt. Ich schmeiße mein Rad regelrecht dem ausgeschlafenen Team in die Arme und verziehe mich ins Auto. Glücklicherweise hatte der doch energieraubende Zwischenfall weniger Konsequenzen als ich zunächst befürchtet hatte.
Schlaglicht 3:
Ich hasse Regen. Wirklich. Nach so vielen Jahren, in denen ich bei Wind und Wetter auf dem Rad saß, meide ich mittlerweile Ausfahrten bei schlechten Bedingungen. Gut, im Rennen kommt man nicht drum herum. Glücklicherweise war es an diesem Abend irgendwo in der Mitte der USA recht mild. Mein inneres Widerstreben aufs Rad zu steigen hielt sich also noch in Grenzen. Der unschöne Wetterzustand entpuppte sich dann jedoch als besondere halbe Stunde. In der untergehenden Sonne brach sich das Licht in allen Farben und schon nach wenigen Minuten waren nicht nur zwei tolle Regenbogen zu sehen, sondern am Ende der Straße am Horizont ein Farb-Tropfen. Ich fuhr stetig auf dieses Tor in Prismen-Farben zu, das sich ganz, ganz langsam in der heraufziehenden Dunkelheit verlor.
Schlaglicht 4:
Es ist frühmorgens, ich glaube, der sechste Tag, doch so genau weiß man das irgendwann nicht mehr. Ich radle auf einen Teamwechsel zu. An einem der Parkplätze, die überall gleich aussehen, angekommen, schlägt mir bedröppelte, wütende, frustrierte Stimmung entgegen. Ich bin verwirrt, auch, weil ich Stefan nirgends sehe, der ja auf die Strecke soll. Ich muss erst nachfragen, bevor mir jemand erzählt, dass Stefan mit Thomas zur Behandlung seiner Saddle Sores aufgebrochen ist. Darüber hinaus scheint keiner einen Plan zu haben – was mich wiederum in Aufruhr versetzt. Ich habe das Gefühl, ich bin die Einzige, die jetzt mit mächtig rauchendem Sturkopf zum Weitermachen drängt („Ich fahre eben jetzt so lange weiter, bis Stefan wieder da ist.“).
Die Musik im Ohr hilft. Vor allem auch, weil die Zeit vergeht und ich, statt darüber nachzudenken, wie lange es dauern könnte, vor mich hinsingen kann. Zum Glück für Richard und Louisa im Followcar ist das Auto-On des Funkgeräts deaktiviert…
Und zum Glück für mich ist Stefan nach fünf Stunden mit bekanntem Biss und neuer Motivation zurück im Sattel...
Schlaglicht 5:
Eine weitere Nacht schleicht sich an. Ich fahre gerne nachts. Dann ist es ruhig, die Luft fühlt sich angenehm an, die Natur riecht anders. Mit mir begrüßen am Straßenrand hunderte von funkelnden Glühwürmchen die Tageszeit.
Schlaglicht 6:
Die letzten hundert Kilometer sind speziell, in solchen Rennen. Einerseits scheint die Zahl 300 bis zum Ziel im Verhältnis zur Gesamtstrecke so wenig. Andererseits ziehen sich die doch vielen verbleibenden Stunden wie Kaugummi. Dazu kommt, dass man nachlässig wird: Hier mal nicht gepowernappt, da mal schlecht gegessen, in jenem Abschnitt mal sorglos geradelt. In den letzten Stücken der Appalachen fand sich einer der Radabschnitte, der wie für mich gemacht war: wellig, kurvig, in kurzen Abfolgen wechselnd. Voller Euphorie ratterte ich durch die Appalachen-Achterbahn. Hinter mir im Auto, dachte ich mir, kreiert Fernand schon ein Kriteriums-Radrennen. Doch wie zu erwarten war, bezahlte ich bei den nächsten Turns für diesen Spaß und musste mich ganz schön quälen. Notiz an mich selbst: Obacht, beim nächsten Mal!
Schlaglicht 7:
„Und ihr habt wirklich jede Stunde gewechselt?!? Und das geht?!?“, schallt uns so oft entgegen. Ja, über acht Tage hinweg haben wir uns stündlich abgewechselt. Also eine Stunde auf dem Rad und eine Stunde im Auto verbracht. Diese Stunde im Auto umfasste Hygiene und Klamottenwechsel, essen und schlafen. Ich weiß, es scheint kaum machbar, aber tatsächlich ist dieser Rhythmus leichter zu bewerkstelligen als man denkt. Es stellt sich recht schnell eine Routine ein, mit der sich gut umgehen lässt. Dazu kommt, dass die Crew unsere Wechsel perfekt timte und auch ihre Wechsel ideal einpasste.
Es passte einfach!
Fotos: Louisa Stahl, Joe Suljewic
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