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AutorenbildChristine Waitz

Athletenbericht: Paris-Brest-Paris – 1220 km durch Frankreich in drei Tagen

von Christine Bunte.


Gerade mal ein Jahr ist es her, dass mich ein Bekannter zum Langdistanz-Radfahren brachte. Seine Idee „lass uns doch nonstop von Mannheim aus um den Bodensee fahren und zurück“ klang einfach zu gut, um nicht mitzukommen. Damals habe ich gesehen, dass 600 km+ auf dem Rad möglich sind – und sogar Spaß machen können!


Erstmal auf den Geschmack gekommen, war die Idee naheliegend, an der in diesem Jahr stattfindenden, größten Randonneur-Fahrradparty der Welt teilzunehmen – Paris-Brest-Paris. Das 1891 ins Leben gerufene Rennen ist inzwischen eine reine Amateurveranstaltung, bei der rund 1220 Kilometer und 10.000 Höhenmeter zu bewältigen sind.


6.700 Radfahrer aus über 60 Ländern


In diesem Jahr starteten ab dem Sonntagnachmittag des 18. August knapp 6.700 Radler in den Trikots von über 60 Ländern, um im Zeitlimit von 80, 84 bzw. 90 Stunden die Strecke zu meistern. Für mich ging es am nächsten Morgen um 5:15 in der 84 Stunden-Gruppe los, leider nach einer ausgesprochen kurzen und wenig erholsamen Nacht, die schon mal das „Schlafmangel-Konto“ eröffnete. Dennoch liefen die ersten 300 Kilometer nahezu perfekt; ich konnte gut mein Tempo fahren, fand immer wieder flotte Gruppen und nette Mitfahrer, und mit der Verpflegung auf dem Rad klappte es auch. Die Stimmung war gut, das Wetter mit 20 Grad ebenso – besser geht es kaum!


Nach 360 Kilometern dann der erste längere Stopp, als ich bei einer Kontrollstelle mein Rad dem freundlichen Zweiradmechaniker anvertraute, um die Probleme mit dem Umwerfer zu beheben. Offenbar hatte der beim Transport doch einen Schlag wegbekommen, der sich erst auf der längeren Tour zeigte… egal, es war eh Zeit zum Essen und nach einem Tag voller Croissants und Schokobrötchen war der Teller Nudeln super!


"Bonne courage!" – Freiwillige unterstützen die Randonneure


An dieser Stelle sei erwähnt, dass der Aufwand, den die Franzosen für das Rennen betreiben, einfach spektakulär ist: 6.700 Radler quer durchs Land schicken auf einer voll beschilderten Route, 11 Kontrollstellen einrichten, wo die Freiwilligen rund um die Uhr Brevetkarten stempeln, Essen ausgeben, Fahrräder reparieren – einfach unglaublich! Abgesehen von den offiziellen Freiwilligen feuerten unzählige Leute an der Strecke an, richteten zusätzliche Kaffee- und Wasserstationen ein und schickten uns mit einem „Bonne courage“ wieder auf die Strecke. Autofahrer fuhren geduldig minutenlang hinter uns her, bis sie mit größtmöglichem Abstand überholen konnten, obwohl die vielen Radler eigentlich ziemlich nervig gewesen sein müssen. Wow. Ich kann mir beim besten Willen vergleichbare Szenen nicht in Deutschland vorstellen.


Paris-Brest-Paris-Gruppe
Allez les femmes! Und nein, es sind nicht alle weiblichen Starterinnen – aber allzu zahlreich waren wir Damen nicht.

Nach einer kurzen Schlafpause bei knapp 400 km ging es um 3 Uhr früh weiter, leider folgte auf das Frühstück gleich ein Platten. Keine große Sache, aber eine Extra-Pause. Davon gab es dann noch die eine oder andere, teils, da die Verpflegung auf dem Rad nicht mehr so gut klappte wie am ersten Tag, teils weil ich mir nachts noch einen netten Mitfahrer aufgegabelt hatte, mit dem ich mich super verstand, aber bei mehreren Fahren addieren sich eben leider die Standzeiten… so fuhren wir dann kurz hinter dem Wendepunkt in Brest getrennt weiter.

Leider hatte ich wohl mit 450 km den zweiten Tag etwas optimistisch geplant und die zusätzlichen Pausen halfen dann nicht, rechtzeitig ins gemietete Hotel zu kommen. So wurden es in dieser Nacht ein Powernap draußen und ein zweiter auf dem Tisch des Restaurants in Loudeac. Hier gabelte ich dann eine Extraportion Motivation in Person eines belgischen Fahrer auf, mit dem ich einige der Qualifikationen gefahren war. Gemeinsam fuhr es sich viel leichter und flotter durch die sternenklare (und saukalte) Nacht. Am frühen Morgen erreichte ich endlich das gebuchte Hotel für einen kurzen Dusch- und Schlafstopp.


Schlafmangel macht sich bemerkbar


Tag 3 wurde dann allmählich zäh... fehlender Schlaf und zu wenig Essen machten sich bemerkbar und ich begann, mich richtig krank zu fühlen. Nach 900 Kilometern in Fougères war ich schließlich kurz davor hinzuwerfen. Dann allerdings tauchten meine persönlichen Motivatoren auf wie die Stehaufmännchen: der nette, bis dato unbekannte Typ aus der Essensschlange, der mir versicherte, dass ich kein Fieber habe, eine Gruppe österreichischer Radler, die sich total freuten, dass EINE FRAU die Tour alleine machte, mein Mann, der nachts noch an die Strecke kommen wollte, meine Trainerin Christine, die mir Zuspruch und einen sehr freundlichen Tritt in den Arsch gab und die belgische Organisatorin meines allerersten Brevets, die plötzlich den Arm um mich legte und fragte wie es so liefe. Nach so viel menschlicher Unterstützung und einem Riesenteller Pasta ging es dann doch weiter und auf die letzten Hügel Richtung Paris.


Wunderbar war die vorletzte Kontrollstation Villaines de la Juhel bei etwas über 1.000 km, wo uns das halbe (?) eher das ganze! Dorf empfing und feierte, als hätten wir soeben die Tour de France gewonnen.

Die Fahrt in die Nacht versüßte mir ein Mitfahrer aus Südafrika, der etwas deutsch sprach und dessen herrliches „Der Aaarsch tut mir weh! Sauweh!“ ich bis heute im Ohr habe. Selbstredend hatte er damit die Situation äußerst treffend zusammen gefasst, neben besagtem Körperteil schmerzten Hände, Füße, Achillessehnen, Knie… meine Hände schliefen irgendwann ein, leider nahm sich der Rest meines Körpers daran kein Vorbild.

Gegen 01:00 an der nächsten Kontrolle gab es neben der nächsten Portion Pasta auch einen freien Platz auf dem Boden neben den anderen Fahrradleichen für ein letztes Nickerchen.

Nach einer letzten Nachtetappe und Fahrt in den Sonnenaufgang (dem letzten!!! Yes!!!) erreichte ich bei strahlendem Sonnenschein das Ziel in Rambouillet nach knapp 76 h. Erleichtert es geschafft zu haben, stolz auf meine Zeit und total geflasht von den Begegnungen auf der Strecke.



So richtig zurechnungsfähig ist man als Finisher am Ende wohl nicht mehr – aber happy!
So richtig zurechnungsfähig ist man als Finisher am Ende wohl nicht mehr – aber happy!

Als mich der Redakteur vom „Tour“ Magazin kurz nach der Ankunft fragte, ob ich wieder fahren würde, habe ich noch gezögert. Jetzt, nach drei Tagen Schlaf, einem Berg Essen und nachlassenden Schmerzen weiß ich es besser – jederzeit!


An dieser Stelle möchte ich die Gelegenheit nutzen, meiner Trainerin Christine für die klasse Betreuung zu danken: den auf mich zugeschnittenen Plan, dank dem ich tatsächlich am Tag x die guten Beine hatte, die Unterstützung bei allen großen und kleinen Fragen in der Vorbereitung und das Mitfiebern und Aufmuntern aus der Ferne, als ich es brauchte. Vielen Dank und ich freue mich auf die nächsten Abenteuer!

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